Medienamateure. Wie verändern Laien unsere visuelle Kultur?
Tagung des Lehrstuhls Mediengeschichte/ Visuelle Kultur der Universität Siegen
Prof. Dr. Susanne Regener
5. bis 7. Juni 2008, Museum für Gegenwartskunst Siegen


Bericht von:
Dominika Szope, Universität Siegen
E-Mail: szope@medienwissenschaft.uni-siegen.de


Die Debatte darüber, dass Amateure in unserer Kultur zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist in den letzten Jahren in Print- und Online-Medien explosionsartig angestiegen. Menschen, die früher nur in ihrem Familien- und Freundeskreis selbst gemachte Bilder zeigten, haben nun erstmals die Möglichkeit, sich öffentlich und vor allem global zu artikulieren. Die elektronische Revolution hat ganz neue Bildproduzenten hervorgebracht. Amateure, Laien Dilettanten sind dabei, sich in Profibereiche von Musik, Radio, Film, Theater, Fotografie und Fernsehen einzumischen. Dabei stellt sich die Frage, ob und wie sie unsere visuelle Kultur verändern. Haben die Prosumenten – die Wortkombination aus Produzent und Konsument – Einfluss auf die Bilderwelt unserer Kultur, auf die Produktion von Nachrichten und sogar auf den traditionellen Kunstbetrieb? Wie war das eigentlich vor dem Web 2.0 – welche Bedeutung hatten die Foto-, Film-, Video-Amateure für die Bilderproduktion von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, Alltagssituationen und Werbe-Kampagnen?

Die Tagung „Medienamateure. Wie verändern Laien unsere visuelle Kultur?“ unternahm vom 5.-7.6.2008 eine erste Auseinandersetzung mit dieser Thematik und fragte dabei auch nach den historischen Vorgängern und den verschiedenen Wirkungsfeldern der Amateure. SUSANNE REGENER leitete die Tagung mit Fragen ein, die die interdisziplinär ausgerichtete Struktur und die noch heterogenen Teilgebiete der visuellen Kultur von Amateuren, Laien, Dilettanten betrafen. Dabei ging es auch um Forderungen nach notwendigen definitorischen und theoretischen Überlegungen zum Amateurschaffen in der Kultur- und Medienwissenschaft. Das Konzept der Tagung rückte insbesondere die Selbstdarstellung und die Grenzverschiebungen zwischen privat und öffentlich als verbindende Themen der historischen wie gegenwärtigen Forschungsthemen in den Vordergrund. Forscherinnen und Forscher aus sieben verschiedenen Disziplinen (Medienwissenschaft, Kunstgeschichte, Kunstpädagogik, Europäische Ethnologie, Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaft) kamen aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Finnland und Dänemark zu diesem Thema zum ersten Mal zusammen, um die Ergebnisse ihrer laufenden Forschungen vorzustellen.

Die Vorträge des ersten Tages widmeten sich historischen Entwicklungen aus dem Bereich des Amateurfilms wie der Arbeiterfotografie. Eröffnet wurde die Tagung von TIMM STARL (Wien), der in seinem Vortrag „Die Inszenierung des Privaten“ anhand der Verbindung von Postkarte und historischem Knipserbild vorstellte. In den 1980er Jahren begannen Postkartenverlage Serien mit der Wiedergabe von anonymem Bildmaterial früherer Jahrzehnte herauszugeben. Das private Foto, so stellte Starl heraus, wurde damit seiner ursprünglichen Funktion enthoben und trat als ein Kuriosum der Bildgeschichte in die Öffentlichkeit. Dabei wurde der Schein der Privatheit, der dem Bild bisher innewohnte, nun von einer in Handschrift gehaltenen Bildunterschrift aufrechterhalten. Die vermeintliche Synthese von Privat und Öffentlich, die anhand dieses Beispiels zum Ausdruck kam, deutete den wohl wichtigsten aber nicht den einzigen Aspekt des Schaffens von Medienamateuren an.
Die Geschichte der Amateure in den Medien ist z. B. in Fotografie und dem Amateurfilm sichtbar geworden. Das Interesse lag hier insbesondere auf der neuen Betrachtungsweise, die den privaten Dokumentarismus und die private Bildpraxis in den Blick nahm. Die Tagung versuchte daher erstmals diesen Bereich abzudecken. Ersten Fragen nach den Eigenschaften der Figur des Medienamateurs gingen die Vorträge der Sektion Amateurfilme, nach. GABRIELE KONSOR (Berlin) stellte in ihrem Vortrag „Der Bauer mit der Kamera“ die Arbeit von Emil Jurkowski, dem Leiter des Amateurfilmstudios der LPG Linum vor. Konsor vertrat die These, dass Jurkowski kein klassischer Amateur war, da er zunehmend hauptberuflich Filme produzierte und in seinen Filmen eine künstlerische Haltung wahrnehmbar sei. Bei diesem Beispiel ging es um die Abgrenzungen oder Vermischungen von Künstler und Amateur sowie um die Frage, ob Amateurarbeiten Auftragsarbeiten sein können. MARTINA ROEPKES (Utrecht) Beitrag “Sammler, Bastler, Familienvater” – Kleines Porträt des 'Filmamateurs'“ beschäftigte sich mit einer soziokulturellen Skizze des Filmamateurs. Im Vordergrund standen die zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in denen der Filmamateur in Deutschland eine starke Ausprägung erfuhr. Anhand von historischen Quellen aus der damals entstehenden und überaus reichen Amateurfilmpublizistik zeigte Roepke die Verbindung von Amateurschaffen und Öffentlichkeit, beispielsweise die Funktion des Amateurfilmers als Industriepartner, der Footage für Wochenschauen lieferte. Aber auch das Selbstverständnis der Filmamateure als Fachleute mit ästhetischem Anspruch kam hier deutlich zum Ausdruck. Beide Vorträge gaben einen ersten Eindruck von der Figur des Medienamateurs, dessen Eigenschaften zwischen einer Liebe zum Gegenstand und ambitionierter Medienkompetenz oszillieren. Vor dem Hintergrund des klassischen Mediums Film deutete sich die Differenz zwischen dem Dilettanten und dem Medienamateur an, wie sie sich im Verlauf der Tagung weiter herauskristallisieren sollte.

Den Abschluss der ersten Tages bildete ein Gespräch zwischen dem Fotohistoriker Wolfgang Hesse sowie Diethart Kerbs über Arbeiterfotografie. WOLFGANG HESSE (Dresden) stellte heraus, dass die Arbeiterfotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Möglichkeiten der Publikation in Illustrierten und politischen Blättern nutzte, in der Hoffnung eine größtmögliche politische Wirkung zu erzielen. Die „private Knipserei“, so kann als These festgehalten werden, wurde als Mittel angesehen, politisch zu arbeiten. DIETHART KERBS (Berlin) ergänzte diese Ausführungen, indem er eine kurze Historie der Arbeiterfotografenbewegung zeichnete. Sein Vortrag „Fotografie als Waffe. Zum Stellenwert der Arbeiterfotografenbewegung“ zeigte das Zusammenbrechen dieser Bewegung im Nationalsozialismus und stellte Fragen zur gegenwärtigen Situation.

Die erste Sektion des zweiten Tages, Kunst- und Amateurbild, war den Fragen zum Vergleich und zur gegenseitigen Beeinflussung der Ästhetik .von künstlerischen und laienhaften Produkten gewidmet. GUNNAR SCHMIDT (Hamburg) prägte den Begriff der „dilettantischen Ästhetik“ und charakterisierte damit Verschiebungen von Bildmustern aus dem Amateur-/Privatbereich in den Kunst-/Öffentlichkeitskontext. Dabei sollte die terminologische Prägung „dilettantische Ästhetik“ auf eine zu beschreibende Ununterscheidbarkeit verweisen, die seit 1900 zur visuellen Kultur gehört. Schmidt stellte den Amateur als einen selbstbewussten Bildproduzenten mit ästhetischen, technischen und kommunikativen Anliegen der Figur des Dilettanten gegenüber, der ohne Diskurs und Selbstbewusstsein eine antiästhetische Haltung vertritt. BIRGIT RICHARD (Frankfurt) konkretisierte in Ihrem Beitrag diese Fragestellung anhand des Beispiels von YouTube. Im Vordergrund stand hier die Frage, inwieweit die auf YouTube veröffentlichten Videos, die zumeist dem Zweck dienen, sich anderen mitzuteilen, mit ihnen zu kommunizieren und vermeintlich Einblicke in das eigene Leben zu geben, einem künstlerischen Gestus entsprechen. Richard stellte Typologien vor, mit denen sie versucht, YouTube-Videos zu kategorisieren. Sie unterstrich hierbei, dass eine abschließende Untersuchung nicht möglich sei, da ständig neue Videos und Clipsorten hinzukommen. Anhand zahlreicher Beispiele, die jedoch aufgrund der Kürze der Zeit nur sehr oberflächlich behandelt werden konnten, stellte Richard einen artistischen Umgang mit dem Medium fest. Dabei plädierte sie für eine Neuwertung der jugendlichen Clip-Produzenten im Sinne von „Medienmeister“ oder „Bricoleur“. Beide Vorträge erfassten damit die Differenzierung der Begriffe Dilettant, Amateur und Laie noch deutlicher, was zu einer ersten Begriffsschärfung führte. Die Eliminierung der Perspektive von Hoch und Niedrig, wie Schmidt sie in Anlehnung an Rancière formulierte, brachte erstmals eine deutliche Auseinandersetzung mit der Blickkultur auf theoretischer Ebene. Wie schauen wir auf die Bilder der Medienamateure und welche Sicht- bzw. Blickweisen ziehen wir heran?

Das BigBrother-Format, das im Fernsehen zumindest in der Anfangsphase hohe Einschaltquoten hatte, zeigte ganz deutlich, dass wir es heute mit einer klaren Grenzverschiebung von öffentlich und privat zu tun haben. Auch die Plattformen und Anwendungen des Web 2.0 verweisen auf diese anhaltende Entwicklung. Das Private wird zunehmend und scheinbar selbstverständlich in die Öffentlichkeit getragen. Doch wie stellt sich die historische Entwicklung dieser Grenzverschiebung dar? Zeigt nicht bereits die Fotografie Durchlässigkeiten und Transfers zwischen Privatheit und Öffentlichkeit? CHRISTINA NATLACEN (Wien) beschäftigte sich in ihrem Vortrag „Passanten im Fokus. Straßenfotografen und Stadtöffentlichkeit“ mit der Situation der Amateurfotografie gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Natlacen konstatierte hierbei zunächst zwei bedeutsame Neuerungen der Fotografie um 1880, nämlich die Möglichkeit, Momentaufnahmen von Personen in Bewegung anzufertigen und das Aufkommen der Amateurfotografie. Die erste tragbare Kastenkamera führte zu einer neuen Situation für das Individuum auf der Straße, das mit der Fotografie aus der Anonymität heraus trat. Gleichzeitig kam es zu ersten Diskussionen über das Recht am eigenen Bild, in denen sich das Individuum des Schutzes seiner eigenen Person bewusst wurde. Erneute Aktualität gewann diese Problematik ab 1925, als semiprofessionelle Fotografen so genannte Gehfilmfotografien auf den großstädtischen Straßen zum Verkauf anboten. Diskutiert wurden mit diesem Beitrag die Grenzen zwischen Privatheit und öffentlicher Inszenierung sowie das Verhältnis von kinematografischen Vorbildern und Porträts im öffentlichen Raum.
Gegenwärtige Entwicklungen im Bereich der Grenzverschiebung von öffentlich und privat zeigte eine Ausstellung im Musée de l’Elysée in Lausanne, die von MANUELA BARTH (München) vorgestellt wurde. Unter dem Titel „Tous photographes! La mutation de la photographie amateur à l'ère numérique“ konnte die Ausstellung jedoch nicht frei von Kritik bleiben. Insbesondere soziale, politische und ökonomische Rahmenbedingungen der Fotopraxis schienen der Darstellung in Lausanne zu fehlen.

Das anhaltende Phänomen der Grenzverschiebung wurde von ASKO LEHMUSKALLIO (Helsinki) auf Anwendungen des Web 2.0 erweitert. Im Rahmen des Umgangs mit Privatheit in Social Network Sevices stellte er Diskussionen zu ‚managing privacy’ und Interaktionen auf Social-Networking-Seiten vor. Insbesondere die Vorträge von Natlacen und Lehmuskallio verwiesen auf die Privatsphäre, wobei historische Beispiele mit zeitgenössischen konfrontiert wurden. Deutlich wurde hierbei, dass die Situation nichts von ihrer Problematik eingebüßt hat. Neben Gefährdungsszenarien wurde insbesondere im Rahmen des mediengeschichtlichen Ansatzes deutlich, wie und in welchem Maße Amateurprodukte und -ästhetiken im Zwischenraum von Privatheit und Öffentlichkeit ihre Wirkung entfaltet haben. Die Frage nach der Bedeutung des Privaten und die Frage, was im öffentlichen Bereich des Internet eigentlich privat ist, trat damit erneut in den Vordergrund.
Die Präsenz des Amateurs in den verschiedenen Medien seit 1900 und sein Ausdruck durch Bilder zeigen ein Selbstbild vom Amateur, das in seiner ästhetischen und sozio-kulturellen Strategie auf ein besonderes kultur- und medienwissenschaftliches Interesse stößt. Es stellt sich daher die Frage, welche Rolle die verschiedenen Techniken der Selbstdarstellung für das Bild vom Eigenen und vom Fremden spielen? Wie zirkulieren welche Bilder und wie greifen sie in den Diskurs von Bildproduktion und Wissensgenerierung ein? Die Varianten der Selbstdarstellung im Internet sind heute äußerst vielfältig. Nutzer produzieren Videos um der vielfach anonymen Community von ihrem Leben zu erzählen, sich darzustellen und zu inszenieren. Um tiefste Momente des Selbst darzustellen, geht es nach eigener Auskunft von Amateuren auch auf Pornographieplattformen. KARIN BRUNS (Linz) konstatierte in ihrem Vortrag „Down by Myself. Techniken der Selbstveröffentlichung in Pornblogs und Webforen“ ein Ausstellen des Selbst im Moment des größten Selbst-Verlustes. Bruns untersuchte verschiedene Websites, die, als Gegenprogramm zur Pornoindustrie, mit dem Gestus des Medienamateurs Bilder produzieren. Verschiedene Techniken der Selbstdarstellung konnte sie hierbei mit der Beobachtung eines Willens zur Kontrolle über sich selbst in Verbindung bringen. Dabei scheint das Label ‚homemade’ einmal mehr den Wunsch nach Authentizität zu verdeutlichen und produziert einen Realitätseffekt, der dem Pornofilm entgegenkommt.
Auch RUNE GADE (Kopenhagen) interessierte in diesem Zusammenhang vor allem der Unterschied zwischen Profi und Amateur. Sein Vortrag „Cyber Sex for Real: Constructions of Sexual Identities on the Internet“ beleuchtete die Frage nach der Verfügbarkeit der Mittel zum Selbstausdruck und wie diese die Produktion der pornografischen Darstellung im Internet beeinflussen. Auch in seiner Forschung ist es der ‚amateurish look’, der kommerzielles Interesse erregt. Beide Vorträge zeigten, dass es nicht ausreicht von einer Pornographiesierung der Kultur zu sprechen und sich mit dem bloßen Abbildcharakter zu beschäftigen. Vielmehr sollte man dazu übergehen, den gesellschaftlichen Geltungsdrang der mitproduzierenden Individuen genauer zu betrachten.

Die konzeptionelle Unterteilung der Tagung in zahlreiche kleinere Sektionen brachte den entscheidenden Vorteil, Beiträge aus möglichst vielen Bereichen in die Diskussion miteinzubeziehen und damit ein so weitereichendes Feld des Amateurs wie möglich zu zeichnen. Damit blieb auch die Partizipation der Medienamateure an der Politik der Bilder nicht unbeachtet. Spätestens seit den Ereignissen des 11. September 2001 ist die Präsenz der Amateuraufnahmen bei der Bild-Berichterstattung nicht mehr wegzudenken, Fernsehsender wie n24 fordern ihre Zuschauer regelmäßig auf, Bildmaterial zu aktuellen Ereignissen einzuschicken. Welchen Einfluss üben Amateure auf die Kontrollmacht des Staates eigentlich aus? Im Rahmen ihrer Dissertation explorierte LESKA KRENZ (Berlin) das private Filmen und die Frage nach der Existenz von subversiven Filmen in der DDR. Dabei unterstrich sie, dass die staatlich gelenkte Kulturpolitik der DDR das Filmen als privates Hobby ausdrücklich gefördert hat. Anhand eines Films des Amateurfilmers Claus Löser, über den selbst eine umfangreiche Stasiakte angelegt wurde, und am Beispiel eines anonymen Einzelfilmers, der in den 1960er Jahren die westdeutsche Tagesschau abfilmte, stellte sie den Spielraum der privaten Dokumentarfilmer innerhalb der SED-Diktatur heraus. Noch weiter zurück ging SANDRA STARKE (Weimar), die sich in ihrem Vortrag „ Papi macht Witzchen – SS-Soldaten als Knipser“ mit Amateurfotografien von SS-Soldaten, die in Buchenwald bei Weimar stationiert waren, auseinandersetzte. Im Vordergrund des Vortrags standen die Fotografien des Kommandanten des Konzentrationslagers Karl Otto Koch und damit die Frage inwieweit im Kontext der Fotografien von einer Politik der Bilder zu sprechen ist.
In der Abendveranstaltung des zweiten Tages stellte WINFRIED GERLING (Potsdam) das Werk des Fans und Amateurs Hans Joachim Thunack vor, der vor gut vierzig Jahren mit einer werkgetreuen Verfilmung des Groschen-Science-Fiction-Romans von Karl Herbert Scheer „Der Einsame der Zeit“ begann, die bis heute andauert. Die Produktion erwies sich als ein außerordentliches Beispiel einer Amateurfilmproduktion, das durch seine extreme Produktionsgeschichte viele Aspekte des Amateurfilmschaffens in sich exemplarisch vereint. Insbesondere stach hier der medienhistorische Aspekt heraus, der die Entwicklung der Medientechnik über vierzig Jahre vor Augen führt. Der Vortrag zeigte deutlich, dass der Amateur sowohl Nachahmer als auch Neuschöpfer ist.

Die Sektion Jugend- und Alltagskultur am letzten Tag zeigte, dass eine Überschneidung der Thematiken aufgrund des Tätigkeitsfeldes des Amateurs nicht zu vermeiden ist. Einen Einblick in eine besondere Alltagskultur bot RÁMON REICHERT (Linz), der in seinem Vortrag „Medienamateure und das Video Home System 1985-1990“ das Beispiel eines privaten Videotagebuches eines Linzer Medienamateurs aufgriff, der seine Familie über einen längeren Zeitraum hinweg – fast täglich – filmte. Deutlich wurden hier die Verflechtungen zwischen medialem Dispositiv, familiärer Herrschaft und ihrer Subversion. Der Vater fungierte dabei fast ausschließlich als Kameramann und Regisseur, der aus der Position eines unbeteiligten Beobachters die Darsteller instruierte. Reichert konstatierte hier die Situation der Videoüberwachung, die selbst vor der eigenen weinenden Frau nicht halt machte. Die mediale Dokumentation des Alltags zeigte sich hier von ihrer besonderen Seite und brachte ein Verständnis des Medienamateurs das damals ungewöhnlich, heute vermutlich keine allzu große Aufmerksamkeit mehr erregen würde. Die Präsenz des Medienamateurs im Bereich der Jugendkultur zeigte KARIN WENZ (Maastricht) am Beispiel von Machinima. Mit den digitalen Filmen, die mit Hilfe von Game-Engines erstellt werden, beschrieb Wenz das Ausstellen des eigenen Könnens über das Internet. Machinima-Filme werden, so Wenz, innerhalb und für eine Gemeinschaft von SpielerInnen hergestellt und spiegeln nicht nur Spielstrukturen wieder, sondern auch die spezifischen Strukturen der jeweiligen Spielergemeinschaft. Das Computerspiel wird hierbei als ’Performanz-Technologie’ benutzt und untergräbt, so die These von Wenz, subversiv das Regelsystem des Spiels. MATTHIAS MERTENS (Hildesheim) formulierte am Beispiel eines Brick-Films Thesen zu den Bedingungen der Medienamateurpraxis und plädierte in der Diskussion um den Amateurbegriff sowohl in der Jugend- wie Alltagskultur für das ökonomische Prinzip: Ein Amateur ist jemand, der kein Geld mit der Arbeit verdiene.

Die letzte Sektion der Tagung Medienamateure und Medienumbrüche versammelte Vorträge von jüngeren Wissenschaftlerinnen der Universität Siegen, die unter verschiedenen Aspekten die Rolle des Medienamateurs untersuchten. DOMINIKA SZOPE (Doktorandin Mediengeschichte) schloss mit ihrem Vortrag an die Ausführungen von Birgit Richard an und zeigte anhand eines Videoblogs (GreenTeaGirlie auf YouTube) die Ästhetik wie auch gesellschaftliche Bedingungen und Motive für die Selbstdarstellung. Die Möglichkeit sich zu präsentieren geht nicht nur mit einem gewachsenen narzisstischen Verständnis sondern auch mit dem Wunsch einher, seinen Wert immer wieder selbst zu überprüfen, indem Feedbacks und Reaktionen der anderen direkt oder indirekt erfragt werden. Daher, so die Behauptung, rückt der Aspekt des Voyeurismus verstärkt in den Vordergrund. Ebenfalls an gegenwärtigen Beispielen orientiert, rückte ANNEMONE LIGENSA (FK 615) die Sublimierung, Projektion und den Exzess des Haptischen in Medienpraktiken weiblicher Fans von männlichen Stars in den Vordergrund und zeigte verschiedene Ausprägungen des Fankults. Unter dem Titel „Culture Jamming als Form postdemokratischer Medien- und Konzernkritik“ hob ANNE MÄRZ (FK 615) Kampagnen von Protestkulturen hervor. Anhand zahlreicher Beispiele wurde deutlich, dass insbesondere der zynische und kritische Umgang beispielsweise mit Werbung zu einer Sichtbarkeit der Aktivisten, also der möglichen Medienamateure, führe.

Insbesondere die gegenwärtigen Beispiele führten die Bedeutung der Blickkultur vor Augen. Unsere Wahrnehmung und Darstellung wird durch Bilder geprägt, bewusst oder unbewusst greifen wir auf unser Bildgedächtnis zurück. So ist der Medienamateur geprägt durch seine Erfahrung mit Bildern, durch Traditionen symbolischer Darstellungen und die Wanderung von Bildern von einem gesellschaftlichen/ medialen Kontext in den anderen.
Zum Abschluss der Veranstaltung ging Susanne Regener in einem ersten Resümee auf die Begrifflichkeiten Dilettant/Amateur/Laie ein. Die historische Semantik von Dilettant als Liebhaber der Künste ist ambivalent und besonders in der Gegenwart abwertend konnotiert. Die Amateure (Fotografie, Film) wollten sich vom dilettierenden Bildermachen absetzen und waren früh organisiert in Vereinen. Eine ästhetische Konditionierung fand über Ratgeber und Vereinszeitschriften statt – die Amateure nahmen aktiv an der Alltagskultur teil. Diese bewusste Teilnahme am Bilderschaffen sei ein wichtiger Hinweis auch für zeitgenössische Medien-Phänomene zu denen Amateure beitragen – ‚Medienamateur’ ist ein Begriff, in dem Aktivität, Liebhaberei, Spiel, Protest, Subversion, Mitbestimmung eine wechselnde Bedeutung bekommen. Er steht aber auch für die Verbreitung von privatem Material, kommerzieller Ausbeute, affirmativer Bilderproduktion, unkritischer Teilnahme am Social Web. Nur ein multimethodischer Ansatz, so Susanne Regener abschließend, kann dazu verhelfen, den Medienamateur in seinem vielfältigen Aktionsfeld zu beschreiben.

Kurzübersicht
Sektion: Knipser, Amateure, Dilettanten
Timm Starl: Die Inszenierung des Privaten

Sektion: Amateurfilme
Gabriele Konsor: „Der Bauer mit der Kamera“ – Medienamateure in der DDR
Martina Roepke: Sammler. Bastler, Familienvater – Kleines Portrait des Filmamateurs

Sektion: Arbeiterfotografie – ein Gespräch
Wolfgang Hesse: Das Auge des Arbeiters
Diethart Kerbs: Fotografe als Waffe. Zum Stellenwert der Arbeiterfotografenbewegung

Sektion: Kunst und Amateurbild
Gunnar Schmidt: Dilettantische Ästhetik
Birgit Richard: Medienmeister und Kunstamateure: Visual Youth Culture im Online-Video

Sektion: Öffentlich/ Privat: Grenzverschiebungen
Manuela Barth: „Tous photographes?“ Überlegungen zur Klärung des Amateurbegriffs
Christina Natlacen: Passanten im Fokus. Straßenfotografien und Stadtöffentlichkeit
Asko Lehmuskallio: Der Umgang mit Privatheit in Social Network Services

Sektion: Technologien des Selbst: Amateure im Internet
Katrin Bruns: Down by Myself. Techniken der Selbstveröffentlichung in Pornblogs und Webforen
Rune Gade: Cyber Sex for Real: Constructions of Sexual Identities on the Internet

Sektion: Partizipation der Medienamateure an der Politik der Bilder
Leska Krenz: Im Visier der Stasi. Der Amateurfilm in der DDR
Sandra Starke: „Papi macht Witzchen“. SS-Soldaten als Knipser

Sektion: Amateure als Nachahmer und Neuschöpfer
Winfried Gerling: Vortrag mit Filmausschnitten zu „Der Einsame der Zeit“ (Perry Rhodan Fanfilm von Hans Joachim Thunack, an dem er seit über 40 Jahren arbeitet.)

Sektion: Jugendkultur und Alltagskultur: Imagebildung, Lifestyle, Habitus
Karin Wenz: Machinima. Zwischen Subversion und Selbstdarstellung
Matthias Mertens: Die Zukunft der Kindheit als Besucher in der Gegenwart. Darstellungen des medialen Selbst in Amateur-Stop-Motion-Filmen
Ramon Reichert: Medienamateure und das Video-Home System 1985-1990

Sektion: Medienamateure und Medienumbrüche
Annemone Ligensa: Das jüngste „non-profit“ Gewerbe der Welt: Sublimierung, Projektion und Exzess des Haptischen in Medienpraktiken weiblicher Fans von männlichen Stars.
Dominika Szope: Visuelle Kulturen der Selbstdarstellung im Internet
Anne März: Culture Jamming als Form postdemokratischer Medien- und Konzernkritik

 

 

 

 

 

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