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Susanne
Regener, unter Mitarbeit von Britta Neitzel
Abschlussbericht für die VolkswagenStiftung (Auszug)
Zusammenfassung
Die Debatte darüber, dass und auf welche Weise Amateure in
unserer Kultur zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist in den letzten
Jahren in Print- und Online-Medien explosionsartig angestiegen.
Menschen, die früher nur in ihrem Familien- und Freundeskreis
selbst gemachte Bilder zeigten, haben nun erstmals die Möglichkeit,
sich öffentlich und vor allem global zu artikulieren. Die
elektronische Revolution hat ganz neue Produzenten, vor allem
Bildproduzenten, hervorgebracht. Amateure, Laien und Dilettanten
sind dabei sich in Profibereiche von Musik, Radio, Film, Theater,
Fotografie, Fernsehen und – vor allem – Internet einzumischen.
Fragen danach, ob und wie Medienamateure Einfluss auf die Bilderwelt
unserer Kultur, auf die Produktion von Nachrichten und sogar auf
den traditionellen Kunstbetrieb nehmen, standen im Mittelpunkt
der Tagung Medienamateure. Wie verändern Laien unsere visuelle
Kultur?, die vom 5. bis zum 7. Juni im Museum für Gegenwartskunst
in Siegen stattfand.
Ziel war es, die verstreuten wissenschaftlichen Arbeiten zu Amateurphänomenen,
zumindest in einer Auswahl, zu präsentieren. Historische
Perspektiven und interdisziplinäre Zugänge wurden eingenommen
und damit die aktuellen Phänomene vielfältig kontextualisiert.
Forscherinnen und Forscher aus fünf Ländern (Deutschland,
Österreich, Niederlande, Finnland, Dänemark) und sieben
verschiedenen Disziplinen (Medienwissenschaft, Kunstgeschichte,
Kunstpädagogik, Europäische Ethnologie, Geschichtswissenschaft,
Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaft) kamen zu diesem Thema
zum ersten Mal zusammen, um Ergebnisse ihrer aktuellen Forschungen
auszutauschen. Das Spektrum der Beiträge reichte von frühen
Amateurfotografen um die Wende zum 20. Jahrhundert über Filmamateure
der 1920er Jahre und Amateurfilmer der DDR bis hin zu Anwendern
von Social Software im Internet.
Aufgrund der Themenvielfalt bot sich eine größere Anzahl
von Sektionen an, die sich mit einzelnen Themenschwerpunkten,
wie Verschiebung von Grenzen öffentlicher und privater Sphären,
Selbstdarstellung im Internet, Jugendkultur und Lifestyle und
politischen Implikationen von Amateurprodukten auseinandersetzten.
Wissenschaftliche Ergebnisse
Nach Grußworten durch den Rektor der Universität Siegen
(Prof. Ralf Schnell) und der Direktorin des Museums für Gegenwartskunst
(Dr. Eva Schmidt) skizzierte Susanne Regener die wichtigsten Ziele
und Fragestellungen der Tagung: Werden traditionelle Werteordnungen
in Kultur und Kunst durch Einflussnahme von Amateuren aufgehoben?
Wie entwickelt(e) sich die Medienkompetenz von Usern und wann
kann von Einmischung der Amateure in unsere Bilderwelten gesprochen
werden? Gibt es qualitative Veränderungen in der Geschichte
der Bastler- und Amateurkultur? Ziel war es auch, über die
Geschichte von Authentifizierungsstrategien von Usern zu reflektieren
und ihre Verortung zwischen den Bereichen von privat und öffentlich
zu analysieren. Nicht nur private Sinngebungsprozesse sind relevant,
sondern auch der Einfluss privater Bildproduktion auf öffentlichkeitswirksame
Bildkulturen. Am deutlichsten wurde die Frage nach den Bildpolitiken,
in die sich Amateure einmischten, bei den Ereignissen um Nine-Eleven
und Abu Ghraib.
Der Fotohistoriker und Verfasser des Standardwerkes Knipser, Timm
Starl (Wien), eröffnete die Tagung mit dem Vortrag Die Inszenierung
des Privaten. Er explorierte das Phänomen der Entdeckung
des privaten Knipserbildes für die kommerzielle Postkarte.
In den 1980er Jahren beginnen Postkartenverlage Serien mit der
Wiedergabe von anonymem Bildmaterial früherer Jahrzehnte
herauszugeben. Das private Foto, so stellte Starl heraus, wird
damit seiner ursprünglichen Funktion enthoben und tritt als
ein Kuriosum der Bildgeschichte in die Öffentlichkeit. Historische
Knipsermotive sowie eine Bild-Text Kombination sollen die Authentizität
der „Nostalgiepostkarte“ unterstreichen. In der Diskussion
wurde der Umgang mit historischen (privaten) Motiven eruiert:
Fotografien als „Bruchstücken eines Daseins“
könnten vielfältige Bedeutungen zugeschrieben werden,
weil sie eigentlich nichts verraten. Darüber hinaus wurden
Aspekte einer „transportierten Geschichte“, Konstruktionen
von Humor und Stereotypisierung über verschiedene Rezeptions-Generationen
hinweg erörtert.
Die Sektion „Amateurfilme“ bestand aus Beiträgen
von Gabriele Konsor (Künstlerin und Leiterin des Filmfestivals
Havelland), die über das Werk des „Bauern mit der Kamera“,
Emil Jurkowski (Leiter des Amateurfilmstudios der LPG Linum) sprach
und Martina Roepke (Filmhistorikerin, Utrecht), die eine soziokulturelle
Skizze des Filmamateurs der Frühzeit vorstellte. Mit den
Arbeiten des filmenden Bauern Jurkowski thematisierte Konsor die
Amateurfilmarbeit der DDR und stellte die Frage, ob es sich bei
Jurkowski tatsächlich um einen Amateur handelt. Der Autodidakt
wurde als Leiter des Studios in der LPG für seine Filmarbeit
bezahlt, die unverkennbar künstlerische Züge aufweist.
Für die Bezeichnung Amateur spricht, laut Konsor, die Tatsache,
dass seine Filme als Amateurfilme auf entsprechenden Amateurfilm-Festivals
gezeigt wurden.
Die Definition von Amateurfilm und das Selbstverständnis
von Amateuren waren auch Themen in Martina Roepkes Beitrag „Sammler,
Bastler, Familienvater” – Kleines Porträt des
Filmamateurs.“ Anhand von historischen Quellen aus der Amateurfilmpublizistik
der 1920er und 1930er Jahre erkundete Roepke die Praxis des Filmamateurs,
seine ästhetischen Vorbilder und die frühe Nutzung seiner
Arbeiten für die Werbung. Der Filmamateur sah sich selbst
als schöpferischer Produzent von ästhetisch hochwertigen
Bildern, der sich vom laienhaften Familienfilmer abgrenzte. Eine
ähnliche Abgrenzung gab es in dieser Zeit zwischen Amateurfotografen
und den so genannten Knipsern. Das ist ein bedeutender historischer
Aspekt, der laut Susanne Regener für den Begriff des Medienamateurs
spricht, da sich heute derartige Unterschiede auflösen.
Am Abend des ersten Konferenztages sprachen der Fotohistoriker
Wolfgang Hesse (Dresden) und Diethard Kerbs (Kunstdidaktiker,
Berlin) über ihre langjährigen Forschungen zur Arbeiterfotografie.
Hesse unterstrich in seinem Beitrag Das Auge des Arbeiters die
Notwendigkeit, ästhetische Praxen in der Arbeiterfotografie
zu untersuchen. Seine Bildbeispiele aus der 1926 gegründeten
Zeitschrift der „Arbeiter-Fotograf“ waren Knipserbilder
mit dem Anspruch, durch eine entsprechende Kontextualisierung
politisch zu wirken. Eine bestimmte Ästhetik sollte die Arbeiterfotografen
zu „Hilfstruppen im Klassenkampf“ machen. Diethard
Kerbs diskutierte mit seinem Vortrag Fotografie als Waffe. Zum
Stellenwert der Arbeiterfotografenbewegung mit zwei exemplarischen
Reportagen aus der AIZ (Arbeiter Illustrierte Zeitung), die dokumentarische
Funktion der Amateurfotografien für die Wohnverhältnisse
sowjetischer und Berliner Arbeiter. In der Weimarer Republik herrschte
ein „symbolpublizistischer Bilderkrieg“. Warum ist
eine Forschung zu dieser historischen Epoche heute wichtig? Diskutiert
wurde diese Frage mit dem Blick auf mögliche Wiederbelebungen
von politisch orientiertem Bildermachen.
In der Sektion „Kunst und Amateurbild“ gingen Gunnar
Schmidt (Medienästhetiker, Hamburg) und Birgit Richard (Medienpädagogin,
Frankfurt/Main) unter verschiedenen Aspekten der Frage nach, inwieweit
das vom Amateur produzierte Bild kreativ, künstlerisch geprägt
ist und inwieweit die Kunst vom Laienbild profitiert. Gunnar Schmidts
Begriff „dilettantische Ästhetik“ charakterisiert
Verschiebungen von Bildmustern aus dem Amateur-/Privatbereich
in den Kunst-/Öffentlichkeitskontext. Anhand von zahlreichen
Beispielen zeigte er, dass dilettantische Ästhetik nicht
künstlerisch wertend gebraucht wird, wir es aber mit einer
Doppelbewegung zwischen Verkunstung des Unkünstlerischen
und Entkunstung des Künstlerischen zu tun haben. Warum kann
eine solche ästhetische Vereinnahmung von privaten Bildern,
die sowohl von Künstlern wie auch von Kuratoren aktuell vollzogen
wird, überhaupt stattfinden? Eine wichtige Operation ist
die Abgrenzung des selbstbewusst agierenden Amateurs mit ästhetischen,
technischen und kommunikativen Anliegen vom Dilettanten, der ohne
Diskurs und Selbstbewusstsein eine antiästhetische Haltung
vertritt. Die Kunstelite wiederum betreibt eine „nachträgliche
Adelung der Privatbilder, indem sie die Bilder nicht mehr lebenswirklich,
sondern formal-ästhetisch wahrnimmt.“ (Schmidt)
Birgit Richards Beitrag mit dem Titel Medienmeister und Kunstamateure?
Visual Youth Culture im Online-Video setzte sich mit dem Videohoster
YouTube und den dort veröffentlichten Videos auseinander.
Entsprechen diese Videos von (überwiegend) Jugendlichen einem
künstlerischen Gestus? Richard stellte Typologien vor, mit
denen Videos auf YouTube zu kategorisieren wären: EgoClips,
Skillz Clips, Art Clips, Response/Battle Clips, FanClips. Sie
plädierte dafür, statt des Begriffs Medienamateur den
Begriff Medienmeister zu verwenden. Darin würden die Bastler
und jugendlichen Bildermacher angemessener charakterisiert, die
auf YouTube eine enorme Kreativität und technische Professionalität
entfalten würden.
In der Sektion „Öffentlich/Privat: Grenzverschiebungen“
ging Manuela Barth (Volkskundlerin, München) in ihrem Beitrag
„Tous photographes?“ Überlegungen zur Klärung
des Amateurbegriffs anhand der gleichnamigen Ausstellung im Musée
de l’Elysée in Lausanne Überlegungen nach, die
die „digitale Revolution“ als Ausgangspunkt für
eine neuen Boom der Amateurfotografie verantwortlich machen. Barth
möchte eine soziale Differenzierung, wenn es darum geht,
die Amateurfotografen der digitalen Zeit zu beschreiben und geht
der Frage nach, wie man heute die Trennung von Profis und Amateuren
überhaupt noch aufrecht erhalten kann.
Christina Natlacen (Kunsthistorikerin, Wien/Amsterdam) beschäftigte
sich in ihrem Vortrag Passanten im Fokus. Straßenfotografen
und Stadtöffentlichkeit mit der Situation der Amateurfotografie
um 1900. Die Möglichkeit, Momentaufnahmen von Personen in
Bewegung anzufertigen und das Aufkommen der Amateurfotografie
brachten zu dieser Zeit neue Bilder von der Straße. Anhand
des Konvoluts eines anonymen Wiener Knipsers aus der Zeit um 1890,
mit seinen fast ausnahmslos versteckt im öffentlichen Raum
aufgenommenen Fotografien, verwies Natlacen auf die sich wandelnde
Bedeutung der Anonymität des Individuums in der Öffentlichkeit.
Zum ersten Mal wurde das Recht am eigenen Bild diskutiert. Erneute
Aktualität gewann diese Problematik ab 1925, als die so genannten
’Gehfilmfotografen’ in Städten Sequenzaufnahmen
von auf sie frontal zugehenden Personen herstellten und diese
zum Verkauf anboten. Natlacen charakterisierte die versteckt aufgenommenen
Fotografien wie auch die Gehfilme als Dispositive, die sowohl
Bilder der Macht nach Foucault wie auch Bilder des Spektakels
nach Débord erzeugen können.
Das Recht am eigenen Bild und der Umgang mit privaten Bildern
war auch Asko Lehmus¬kallios (Kulturwissenschaftler, Helsinki)
Thema in seinem Vortrag Der Umgang mit Privatheit in Social Network
Services. Er diskutierte neue Kommunikationsmodi, die heute immer
öfter auf digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien
basieren. Er stellte Diskussionen zu ‚managing privacy’
und Interaktionen auf Social-Networking-Seiten vor und ging auf
offene Forschungsfragen ein, die sich auf den Grenzbereich zwischen
dem Öffentlichen und dem Privaten in neueren digitalen Umgebungen
konzentrieren.
Die Sektion „Technologien des Selbst: Amateure im Internet“
rückte die Rolle der Pornografie in der Diskussion um den
Medienamateur in den Vordergrund. Karin Bruns (Medientheoretikerin,
Linz) konstatierte in ihrem Vortrag Down by Myself. Techniken
der Selbstveröffentlichung in Pornblogs und Webforen, ein
Ausstellen des Selbst im Moment des größten Selbst-Verlustes.
Bruns untersuchte verschiedene professionelle Websites, die, vorgeblich
als Gegenprogramm zur Pornoindustrie, mit dem Gestus des Medienamateurs
auftreten. Dabei zeichnen sich die Amateurfilme dadurch aus, dass
sie rauschen, knacken, unscharf sind und imperfekte Körper
zeigen. Die Bilder sollen mit dilettantischer Ästhetik authentischer
werden. Das haben auch die Kunstprojekte von Yvonne Rainer und
Yoko Ono im Sinn, die mit einer Amateurästhetik operieren.
Das Label ‚homemade’ wird in verschiedenen Bereichen
für Transformationen des Selbst benutzt.
Rune Gade (Kunsthistoriker, Kopenhagen) ging in seinem Vortrag:
Cybersex for Real: Constructions of Sexual Identities on the Internet
von zwei grundlegenden Konzepten von Pornografie aus: einem medizinischen,
das sich auf die Tätigkeit konzentriert und einem ästhetischen,
das sich mit der Darstellung befasst. Zunehmend jedoch würden
auf pornographischen Seiten im Internet diese Konzepte vermischt.
Identität würde vor allem über sexuelle Praktiken
hergestellt, da auf der von ihm untersuchten Website „newbienudes“
keine Gesichter, sondern nur sexuelle Praktiken gezeigt würden.
Haben die Amateure tatsächlich Kontrolle über ihre „Selbstdarstellung“
und heben sich in der Pornographie die Grenzen zwischen Amateur
und Profi allgemein auf? Diese Fragen wurden in Bezug auf die
ästhetischen Aspekte bejaht. Die Amateurpornographie ist
zurzeit der gängige Weg zur Professionalisierung, Profi ist
aber erst derjenige, der von der Aktivität auch seinen Lebensunterhalt
bezahlen kann. Erneut wurde der Stellenwert der so genannten ProAms,
die Verbindung und gleichzeitige Vermischung von Professionellen
und Amateuren diskutiert.
Am Nachmittag des zweiten Tages – Sektion „Partizipation
der Medienamateure an der Politik der Bilder“– ging
es noch einmal um die Historizität des Medienamateurs und
die Bedeutung von Amateurfotografien in Zeiten von Diktaturen.
Sandra Starke (Historikerin, Weimar) analysierte unter dem Titel
„Papi macht Witzchen“ – SS-Soldaten als Knipser
das private Album des ehemaligen Lagerkommandanten des KZ-Buchenwald
(Karl Otto Koch) und weitere, heute im Archiv der Gedenkstätte
archivierte Amateurfotografien von SS-Soldaten. Empörung
über das Bildmaterial (das teilweise als Beweismaterial für
Kriegsverbrecherprozesse gebraucht wurde) speist sich aus dem
Wissen, dass die privaten Motive das Grauen des KZ weitgehend
aussparen. Selbstdarstellung durch Ausgrenzung ist ein grundlegendes
Thema für Medienamateure – eine konsequente Kontextualisierung
wurde gefordert.
Leska Krenz (Doktorandin Medienwissenschaft, Siegen) beschrieb
unter dem Titel Im Visier der Stasi. Der Amateurfilm in der DDR,
dass die staatlich gelenkte Kulturpolitik der DDR das Filmen als
privates Hobby ausdrücklich gefördert hat. Am Beispiel
eines Films von Claus Löser, über den selbst eine umfangreiche
Akte der STASI angelegt wurde und eines anonymen Einzelfilmers,
der in den 1960er Jahren die westdeutsche Tagesschau abfilmte,
diskutierte Krenz Fragen nach subversiver Amateurproduktion und
ihrer Beziehung zur alternativen, subkulturellen Kunst in der
SED-Diktatur.
In der Abendveranstaltung „Medienamateure als Nachahmer
und Neuschöpfer“ präsentierte Winfried Gerling
(Medienkünstler und –theoretiker, Potsdam), Ausschnitte
aus dem einzigartigen Amateurfilm „Der Einsame der Zeit.“
Es handelt sich um einen Perry Rhodan Fan-Film, an dem der Regisseur
Hans Joachim Thunack bereits seit 1964 arbeitet. Gerling interpretierte
den Film eher als einen Prozess, an dem Medientechnikgeschichte
abzulesen ist, denn als ein Werk. Der Film ist ein hybrides Objekt,
der ausschließlich für Perry Rhodan Fans gedacht ist
und keinerlei kommerzielle Interessen hegt. Gerling hob hervor,
dass der Fan besser sein will als der Profi, weil er seinen Gegenstand
genau kennt. In dieser Veranstaltung stand das Thema Liebhaberei
der Medienamateure im Vordergrund. Dazu gehörte auch die
Teilnahme von Vertretern des Perry-Rhodan Fanclubs aus Bochum.
Thunacks Amateurproduktion ist auf freiwillige Mitarbeiter angewiesen,
die er heute über Webforen findet.
Die Sektion „Jugendkultur und Alltagskultur: Imagebildung,
Lifestyle, Habitus“ startete mit dem Vortrag Medienamateure
und das Video Home System 1985-1990 von Ramón Reichert
(Medienwissenschaftler, Linz). Am Beispiel des privaten Videotagebuches
eines Linzer Medienamateurs, der seine Familie (Ehefrau und zwei
Kinder) über einen längeren Zeitraum hinweg fast täglich
filmte, zeigte er die Verflechtungen zwischen medialem Dispositiv,
familiärer Herrschaft und subversiven Elementen auf. Männliche
Erinnerungskultur, Blickkonstellationen und die Funktion des filmenden
Vaters waren die Themen, die an diesem Beispiel der VHS-Praxis
diskutiert wurden. Reichert zeigte, dass das Video Beziehungen
konfiguriert, die zu einer Asymmetrie von Sehen und Gesehen werden
führen. Einer Wendung gleich, entwickelten die heranwachsenden
Kinder subversive Taktiken, um, so Reichert, das väterliche
Blickregime zu durchkreuzen und auf diese Weise gegen den Videovoyeurismus
des Vaters zu rebellieren.
Karin Wenz (Kulturwissenschaftlerin, Maastricht) untersuchte Machinima,
d.h. Videos, die mit Computerspieltechnologie produziert werden.
Machinima. Zwischen Subversion und Selbstdarstellung beschrieb
das Ausstellen des eigenen Könnens über das Internet.
Eine Art Grass-Root-Bewegung hat Medienexperten hervorgebracht
– auch hier ist das Verhältnis von Professionellem
und Amateurhaftem schwierig abzuwägen. Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie
könne man möglicherweise die Konvergenzen von Technologien,
Industrie und Praktiken für dieses Phänomen beschreiben.
Mathias Mertens (Medienwissenschaftler, Hildesheim) widmete sich
in seinem Beitrag Die Zukunft der Kindheit als Besucher in der
Gegenwart. Darstellungen des medialen Selbst in Amateur-Stop-Motion-Filmen
den so genannten Brick-Filmen (in Stop-Motion Technik werden Legosteine
animiert). Er beschrieb die Historizität dieses Verfahrens
und seine aktuellen Aneignungen durch Medienamateure im Internet.
Thesenartig äußerte sich Mertens auch allgemein: jede
neue Medientechnologie hat neue Schübe des Amateurschaffens
hervorgebracht und damit auch die Frage, wie sich das, was entsteht
gegenüber anderen Medienpraxen verhält.
Die letzte Sektion der Tagung, „Medienamateure und Medienumbrüche“,
versammelte Vorträge von Wissenschaftlerinnen der Universität
Siegen, die die thematische Nähe und die Zusammenarbeit des
Lehrstuhls Mediengeschichte (Susanne Regener) mit dem SFB/ Forschungskolleg
615 markierten. Dominika Szope (Doktorandin, Medienwissenschaft
Siegen) untersuchte in ihrem Vortrag Medienamateure. Visuelle
Kulturen der Selbstdarstellung exemplarisch den Videoblog von
GreenTeaGirlie auf YouTube. Je größer und unübersichtlicher
der Handlungsraum der neuen Akteure wird, umso mehr bedarf es
der Techniken des Sichtbarmachens. Das narzisstische Selbstverständnis
geht auch mit dem Wunsch einher, seinen Wert immer wieder zu überprüfen,
indem Feedbacks der anderen über Text- und Bildkommentare
online abgefragt werden.
Annemone Ligensa (Literatur- und Theaterwissenschaftlerin, Siegen)
beschäftigte sich in ihrem Vortrag Das jüngste »non-profit«-Gewerbe
der Welt. Sublimierung, Projektion und Exzess des Haptischen in
Medienpraktiken weiblicher Fans von männlichen Stars mit
Ausprägungen des Fankults. Hier schloss sich eine Diskussion
an über die Motivation von FanArt und die Frage nach der
kulturellen Bedeutung des Medienumbruchs 2000 und möglicher
neuer methodischer Ansätze.
Annegret März (Politikwissenschaftlerin, Siegen) sprach über
Culture Jamming als Form postdemokratischer Medien- und Konzernkritik.
Sie zeigte verschiedene Kampagnen aus Protestkulturen und deren
kommerzielle Vereinnahmung. Auch hier verwischen sich die Grenzen
von Profi- und Amateur-Ästhetik, wenn man sich das Re-Branding
großer Konzerne anschaut. Kann Culture Jamming als eine
postmoderne Form der Gesellschaftskritik gesehen werden, die das
politisch motivierte Schaffen von Amateuren als Idee weiter trägt?
Zum Abschluss der Veranstaltung fasste Susanne Regener in einem
ersten Resümee die Ergebnisse der Tagung zusammen und ging
dabei auf die während der Tagung wiederkehrend angesprochene
Differenzierung der Begriffe Dilettant, Amateur und Laie ein.
Amateure können unterschieden werden von Dilettanten in Hinblick
auf ihre Selbst¬einschätzung und Fremdeinschätzung
als ästhetisch ambitionierte medienkompetente Produzenten,
während Dilettanten sich vor allem durch ihre Liebe zum Gegenstand
auszeichnen. Die historische Entwicklung von Amateur-Praxen müsse
in zukünftigen Projekten stärkere Berücksichtigung
finden.
Die Tätigkeit des Medienamateurs stellte Regener in einen
engen Zusammenhang mit der Blickkultur. Blickkultur ist gekennzeichnet
durch Erfahrungen mit Bildern, Traditionen symbolischer Ordnungen,
Bildgedächtnis und Bilderwanderungen. Laut Regener führe
dieses Verständnis einer konsequenten Kontextualisierung
von Bildern, dazu, die Fragen nach der Bedeutung der kursierenden
Bilder und der Praxen ihrer Herstellung und Verbreitung im Forschungsfeld
der Visual Culture zu verorten. Nur ein multimethodischer Ansatz,
so Regener abschließend, kann helfen den Medienamateur in
seinem vielfältigen Aktionsfeld zu erfassen und ihn damit
auf verschiedenen Ebenen der sozialen Praxis als Handelnden in
unserer Kultur ausweisen.
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