Susanne Regener: Phänomen Medienamateure

Email-Interview mit Claudia Gerhardt, Pressereferentin der VolkswagenStiftung (7.8.2008)

Claudia Gerhardt:
- Was war für Sie der Anlass, ein Symposium zum Thema "Medienamateure und Bildkultur" zu veranstalten? Und was war das Ziel der Tagung?

Susanne Regener:
Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit Selbstdarstellungen nicht-professioneller BildermacherInnen im 20. und 21. Jahrhundert und der Frage, welche Bedeutung die ego-performance für die Lebensgeschichte, für die Peer-group, für die Szene, für den Alltag hat. Mich interessiert weiterhin die ästhetische Gestaltung: welche Vorbilder, welche Bilderinnerungen werden wirksam und wie wird das Material in neue Formationen gebracht als Remix oder Remake?

Claudia Gerhardt:
- Inwiefern verändern Laien unsere visuelle Kultur tatsächlich?

Susanne Regener:
Das Bilder-Zeigen in Form von Fotografien und Videofilmen, wie es zurzeit auf Plattformen wie YouTube, MySpace oder YouPorn täglich millionenfach geschieht, ist nicht nur eine quantitative Ausweitung unserer Bilderwelt. Die Produkte werden eingespeist in einen Kreislauf von alltäglichem Amüsement, werbewirksamer Ausbeute, Selbstüberwachungsszeniarien, Denunziation wie sie auch Teil von sozialen Problemlösungen und Protest sind.
Den Unterschied zwischen einer guten professionellen Pressefotografie und einem Amateur-Snapshot wird es immer geben. Jedoch sind beispielsweise die Knipserfotos nicht nur deshalb interessant, weil sie billig sind (die BILD-Zeitung fordert ihre Leserreporter für einen symbolischen Betrag dazu auf, im Alltag tätig zu werden), sondern weil das dilettantische Bild eine Authentizität zu versprechen scheint. Mit dem Attentat auf das World Trade Center kam es in der Folge der Berichterstattung zu einer einzigartigen Grenzverschiebung zwischen Profis und Amateuren: Die Bilder von der Katastrophe (aber übrigens auch die Tondokumente) wurden an die Fernsehsender in großer Zahl von Amateurfilmern, von Knipsern geliefert. Im Augenblick größten Entsetzens gab es keine Redakteure mehr, die Bilder redigierten. Und danach ging es darum, mit Bildern die Nation auf die politischen Racheaktionen einzuschwören – so zusagen jedermann/frau hatte diese Bilder gemacht und alle waren mithin Teil der Propaganda. In der weltweit und im Internet kursierenden Ausstellung „Here is New York“ wurden die Fotografien von Nine-Eleven anonymisiert: hier verrät keine Legende, ob es sich um eine professionelle oder eine Knisper-Aufnahme handelt. Wenn es nicht mehr darum geht, ob etwas professionell, aus Passion oder zufällig entsteht, dann wird es um andere Inhalte gehen. Die Täuschung oder Veränderung unserer Wahrnehmung durch Muster authentischer Bilder ist eine solche Inhaltsgenerierung. Allerdings waren die Bilder von knipsenden Soldaten im Gefängnis von Abu Ghraib in ihrer Authentizität wiederum keine offiziell gefragten Quellen. Mit einem Bilder-Schlag wurde die Mission amerikanischer Vergeltung im Irak konterkariert und von Regierungsseite distanzierte man sich von den Amateurbildern.
Visuelle Kultur ist ein ganzes Geflecht aus Bildern, Szenen, Kontexten, Politiken. Das Bild des Laien steht also niemals für sich, sondern ist in einen kommunikativen Prozess eingebunden. Wenn nun Menschen aus verschiedenen Alterstufen, sozialen Milieus und verschiedenen Kulturen Bilder machen und Bilder austauschen, dann verändert sich die Wahrnehmung. An was glaubt man eigentlich noch, wenn man heute ein Bild, gleich welcher Provenienz, sieht? Und welche Funktion nimmt es in unserem Alltag ein?

Claudia Gerhardt:
- Was sind in Ihren Augen zentrale Untersuchungsfelder / -fragen?

Susanne Regener:
Das Filmen an sich und das Verbreiten/Teilen/Montieren der Produkte in entsprechenden Communities im Internet sind Kulturtechniken, die für weite Bevölkerungskreise erst erlernt und erschlossen werden müssen. Ähnlich wie das Lesen-Lernen und Schreiben-Lernen historisch ein Prozess langwieriger Bildungsarbeit war, gilt es heute das Videografieren, das Bildermachen und die Software im Internet beherrschen zu lernen. Ende der 1990er Jahre habe ich die ersten Webcams auf privaten Homepages in Europa untersucht – seitdem hat das digitale Fotografieren und Filmen eine enorme Entwicklung genommen. Das Selbstbewusstsein der Amateure ist gewachsen, aber auch die Gefahren einer unfreiwilligen Bilderwanderung haben zugenommen.
Wichtige Untersuchungsfragen für eine kulturwissenschaftliche Medienforschung, wie ich sie vertrete, kreisen um Begriffe wie Authentizität, Glaube an das Bild, Evidenz.
Wichtig sind mir Forschungen zur Funktion des Bildes für interkulturelle Auseinandersetzungen/Kommunikationen (Freund- und Feindbilder, nationale Stereotypen), Bedeutung der Medienamateure für Protestkulturen und insbesondere für die Selbstdarstellung innerhalb einer Jugendkultur. Die Selbsttechnologien (Michel Foucault) positionieren das Individuum neu in der Gesellschaft, in den Kulturen – das ist mit kulturhistorischen, kunsthistorischen und ethnologischen Methoden zu erforschen.

Claudia Gerhardt:
- Wenn Sie auf die Veranstaltung zurückblicken: Was nehmen Sie mit?

Susanne Regener:

Die Auseinandersetzungen um die Entstehung von Bildern und Macht der Bilder zeigen auf vielfältige Weise die Grenzverschiebungen zwischen Profi- und Amateurbereich und Grenzverschiebungen zwischen privat und öffentlich. Diese Prozesse sind nicht erst seit dem Web 2.0 virulent – ganz im Gegenteil, ein Oszillieren zwischen den Bereichen ist im 20. Jahrhundert für alle Amateurfelder kennzeichnend. Das ist aber mit neuen Perspektivierungen erst zusammenzubringen. Auffällig wurde mir, dass das, was als dilettantische Ästhetik (Gunnar Schmidt) benannt werden kann, ein Schlüsselbegriff ist für die Untersuchung des Einbruchs der Amateurästhetik in die Kunst und die Verwendung von Authentizitätszeichen in künstlerischen und pseudo-künstlerischen (z.B. Pornografie) Bereichen.
Ein anderes Beispiel sind die privaten Fotografien des KZ-Lagerkommandanten von seinem Leben neben dem KZ in Buchenwald, die uns heute als Zeugnisse eines Parallellebens nachdenklich machen. Nachbilder entstehen in unseren Köpfen, die die historischen Quellen neu verorten.

Claudia Gerhardt:
- Wie werden Sie das Thema künftig weiterverfolgen?

Susanne Regener:
In Siegen habe ich einige DoktorandInnen und Habiltandinnen versammelt, die zum Thema Medienamateure in vielfältiger Weise forschen: (beispielsweise über Selbstdarstellungen im Web 2.0, Feindbilder von Amateuren zum Islam, mediale Inszenierungen im öffentlichen Raum, frühe Knipser in der Stadt, Stars und Amateure, privater Dokumentarfilm in der DDR) – mit dieser Gruppe von Graduierten entstehen nationale und internationale Netzwerke.
Ich selbst bin dabei, meine Forschungen zu gesellschaftlich marginalisierten Gruppen um ein Feld zu erweitern. Mich interessieren fotografische Selbstdarstellungen von Amateuren in der homosexuellen und Queer-Bewegung in Bezug auf Gegenstrategien zur Mainstream-Kultur und das Private als politischer Ausdruck. (siehe www.mediengeschichte.uni-siegen.de unter forschung)
Mit der Tagung ist einmal mehr deutlich geworden, dass das Phänomen MEDIENAMATEURE in unserer Kultur für eine große Synthese noch in den Anfängen steckt und dass dieses Thema in den interdisziplinären und mit intermedialen Aspekten arbeitenden Bereich der Visuellen Kultur gehört.
Für Nachfragen: regener@medienwissenschaft.uni-siegen.de

Zitierrichtlinie:
Susanne Regener, Phänomen Medienamateure, Email-Interview mit Claudia Gerhardt (7.8.2008), aus: www.medienamateure.de

 

 

 

 

 

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