Sandra Starke: „Papi macht Witzchen“. SS-Soldaten als Knipser.
Amateurfotografien entstehen zu allen Zeiten an Orten und an Un-Orten.
Unter den Tausenden SS-Männern die zwischen 1937 und 1945 am militärischen Standort Buchenwald bei Weimar ihren Dienst versahen, waren einige leidenschaftliche Amateurfotografen. Im benachbarten Konzentrationslager Buchenwald war fotografieren streng verboten. Schilder wiesen darauf hin. Die SS-Männer fotografierten in Sichtweite des Lagers, die Kasernen, den Zoo samt Tieren und die Kameraden. Die Zehntausenden Gefangenen tauchen nie auf diesen Fotos auf.
Familienfotos bilden den größten Teil der Aufnahmen. Bilder von privatem Glück künden von einem schönen Leben in einer schönen Zeit.
Unter den Knipsern ist der Kommandant des Konzentrationslagers, Karl Otto Koch einer der aktivsten. Mindestens drei Fotoalben, dienstliche und private, sind überliefert. Eines der aufwendig gestalteten Alben ist seinem Sohn Artwin gewidmet. Die Alben stellten die Häftlinge des Buchdruckerkommandos her, die Bildunterschriften in Schönschrift stammen von einem der Gefangenen. „Papi macht Witzchen“ lautet die Bildunterschrift, das Foto zeigt Artwin und seinen Vater in der Uniform des SS-Standartenführers, beide lächeln.
Im Fotoarchiv der Gedenkstätte Buchenwald befinden sich heute etwa 10 000 Fotos. Ein online-Bildkatalog von etwa 1 000 Fotos steht auf der Homepage der Gedenkstätte www.buchenwald.de der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Amateurfotos der SS bilden nur einen sehr kleinen Teilbestand von etwa 300 bis 400 Fotos, die meisten von vier Amateurfotografen die der SS angehörten. Das Bilder wurden nach der Befreiung des Lagers in privaten Wohnräumen von amerikanischen Militärs beschlagnahmt und in Kriegsverbrecherprozessen als Beweismaterial verwendet, häufig um Personen zu identifizieren. Die Verbrechen selbst zeigen sie nicht. Diese Verwendung der Bilder zu militärischen, geheimdienstlichen und juristischen Zwecken weicht völlig von der ursprünglich vorgesehenen Verwendung im Familienalbum ab und verweist auf die zentrale Frage des Mediums: Was zeigen die Bilder überhaupt?
Die Selbstwahrnehmung der Täter als „normale“ Familienväter in einem geregelten Alltag ist das eigentliche Thema der Bilder. Dabei entsprechen sie nur bedingt dem offiziellen visualisierten Selbstbild der SS als Elite. Gerade diese Reflektion von Idylle und Normalität macht es heute schwierig, die Fotografien auszustellen. Die Narration und suggestive Kraft der Bilder kann nur auf argumentativer Ebene gebrochen werden.
Ausstellungsmacher trauen Ihren Besuchern leider selten die gleiche medienkritische Kompetenz zu, die sie sich selbst zuschreiben. Trotzdem es seit wenigen Jahren eine dezidierte Täterforschung gibt, scheint es nach wie vor unmöglich Täter als „normale“ Menschen und die von ihnen ausgeübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit diskursiv zu trennen.
In meinem Vortrag möchte ich diesen kleinen Bestand der Gedenkstätte Buchenwald ausführlich vorstellen und Möglichkeiten ihrer Verwendung in historischen Ausstellungen und im Kunstkontext diskutieren. Zentrale Frage soll sein, wie sich das Medium Amateurfotografie durch verschiedene Nutzungskontexte verändert und wie die Bedeutung der privaten Fotos durch ihre Kontrastierung mit NS-Propagandafotografie am Beispiel „SS – privat“ eingeschätzt wird. Lesbarkeit von Amateurfotografie im Sinne historisch-politischer Bildung zu ermöglichen, ohne das Bild in seiner visuellen Kraft zu dekonstruieren, ist Ziel meines Vortrags.

 

 

 

 

 


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